Lyrisches

Thomas Kling
Die Stadt und das Landen im Fluss

für Rolf Gerhards

Die Stadt und ihre Illuminationsereignisse. Die ihrerseits auf
metropolitane Leuchtkraft verweisen. Die hinweisen auf
metropolitane Ameisenstaaterei und ihre, jeweils hinsplitternd
aufleuchtenden Organisationsformen, welche sich, aus
gewissermassen sicherer Entfernung – in skyscraper-haftem Aufragen,
als Riesenspielzeug-Schemenriss und jazziger Schementanz – dem
kleinen Auge des Betrachters zeigen. Das daran zu wachsen vermag,
zu wachsen in wandernden Schwenken über (dann doch wieder…)
drei Tafeln, dann einer, einem Doppel, dann wieder dreien – ein
Einrasten und Rasten auf den Tafeln Rolf Gerhards‘, die diese Seh-
Einladung aussprechen, die diesen lichtzirpenden Anlock-Test starten,
die diesen Andockversuch unter Lidern – man weiß es nicht –
unternehmen.

Wenn die Stadt in erreichbarer Nähe für den Rheinländer Gerhards
immer gern und wieder Düsseldorf heisst (was New York City im Über-
Abbild und stets jazzbefeuerten Malerohr nicht ausschliesst), so ist das
Land für ihn – der Fluss. Der andere Fluss – der Farbfluss, versteht sich. Ein
anderer, naturgemäß natürlich fliessender, ein auffliessender, stetig vom
Maler aufgeteilter (und zugeteilter) Farbstrom, der in unausgesetztem
Hinfliessen, in hellen, feinen, luftgezogenen und aus der Armbewegung
aufgebrachten Tropfen auf dem Bildträger seinen Ort aufsucht.
Die sogenannten Pollock-Tropfen auf der Suche! Im augenblicklichen
Flugzustand. Der die Punktlandung folgt. Ein also gesteuertes Vorgehen,
dieses Farbhinströmens im Luftstrom; gesteuert, und sei`s bei
eingeschaltetem Autopilot. Der Bildträger sei das Land – landet doch hier
dieses viele Etwas, dieses Etwas aus Vielem: es landet das Bild.

Stadt, Land, Fluss. Momentaufnahme.
So hängt der helle, vielleicht jetzt eingedunkelte Tropfen –
es ändern gerade sich die Lichtverhältnisse – an einem klatschnassen
Gräserbüschel in einer Bachbiegung, dort, irgendwo, in Irland mag das sein,
oder am Niederrhein. An einem dumpfen Kolk, durch den, gespiegelt, die
Wolken gehen; durch ein rasch rauschfähiges unterspültes Ufer, das
überhängend zugewachsen ist. Zu dem die Wasserspritzer hochjagen –
unausgesetzt. Hier, kann gedacht werden, sitzt Rolf Gerhards, oder steht,
leicht geduckt, in Arbeitsbewegung. Es zeichnet sich in ihrem Ausschnitt
nun möglicherweise diese Gegend ab; sie will als Mal ins Bild;
ja, bleibend will es in das Bild hinein; es will landen! Es zeichnet.
Und es malt. Gerhards‘ fliessende Stadt, sein stillstürzender Fluss.

Aus: Rolf Gerhards, Drippings – Rivulets, Viersen 2004